Brot-für-die-Welt-Lauf :
12. Tour de Tirol am Wilden Kaiser
Samstag, 07. Oktober 2017

In Söll am Wilden Kaiser in Tirol ging ein Laufklassiker mit der 12. Auflage an den Start. Tour de Tirol: Ein Berg-Lauf in drei Etappen. Am Freitagabend startet die Tour mit dem SÖLLER ZEHNER über 10 km, am Samstag startet die Königsdisziplin KAISERMARATHON SÖLL über 42 km und am Sonntag der PÖLVEN TRAIL über 23 km. Für alle Gesamtstarter sind diese 75 km eine riesige Herausforderung, zumal die Tour zwischenzeitlich ein absolutes Highlight in der Bergszene geworden ist. Die Veranstalter geizen nicht mit braven Sprüchen, sondern gehen in die Vollen!
„Einer der anspruchsvollsten und schönsten Marathonstrecken der Welt und Österreichs größter Bergmarathon!“

Der Brot-für-die-Welt-Läufer hat sich traditionell für die Königsdisziplin, den Kaisermarathon entschieden. Meine Fans denken jetzt: Ist doch klar. Er hat bei seinem siebten und letzten Berglauf in dieser Brotlauf-Serie doch Übung – das sind für ihn nur Peanuts. Der Lauf hat eine Berg-Ziel-Ankunft auf dem Gipfel, der HOHEN SALVE auf 1829 m. Ja, so könnte man denken.
Doch meistens kommt es anders als man denkt!


Vorgeschichte
Wir haben wunderbares Herbstwetter. Bei unserer Anreise durch das Alpenvorland war Föhnwetterlage mit traumhafter Fernsicht. Alle Gipfel zum Greifen nah.
Der Wetterbericht berichtet stündlich über das stärker werdende Sturmtief XAVIER über Norddeutschland. Noch ahnen wir nicht, dass heute Nacht sieben Menschen ihr Leben verlieren werden.

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Hochwasseralarme und Notrufe überschlagen sich. Verkehrschaos auf den Straßen. Bei der Bahn wird es viele Planänderungen in den nächsten Tagen geben.
Bei unserer Ankunft in Söll kommen die ersten Winde auf.

Heute Nacht gibt es einen Temperatursturz um 25°C.
Am Morgen: Wolken, Nebel und verschneite Bergspitzen. Kaum zu glauben!

  Dass ich jetzt nicht mehr entspannt und ruhig bin, versteht sich von selbst.
Karin meint, mich könnte man in der Pfeife rauchen, das wäre unterhaltsamer.
Auf dem Zielgipfel hat es -2°C und kräftiger Wind. Starte ich? Was und wieviel ziehe ich an? Sind Gamaschen sinnvoll, damit nicht alles Schneewasser direkt in die Schuhe läuft?


Lange Hose mit Windstopper ist klar. Langarmshirt und das schwarze Brotlauf-Shirt, Windjacke gegen Wind und gegebenenfalls Schneeregen auch. Handschuhe: Wasserdichte Ausführung. Warme Mütze selbstverständlich. Die Wetterprognosen ändern sich stündlich. Wie wird das Wetter im Zeitfenster für meine geschätzte Laufzeit über sechs bis sieben Stunden? Wenn ich hierauf eine Antwort hätte, das wäre hilfreich.

Im Hotelaufzug wird ein Aushang der Rennleitung ausgehängt.
Der Start wird aufgrund des Wetters um eine Stunde nach hinten verschoben. Ob der Zieleinlauf oben auf der Hohen Salve sein wird oder ob die Streckenführung geändert wird, ist noch offen. „Ihr Gepäck (trockene Kleidung für nach dem Lauf) wird auf jeden Fall dort sein, wo das Ziel sein wird“.
Alle 600 angemeldeten Läufer haben heute Nacht ganz bestimmt keinen Murmeltierschlaf.

Marathontag
Am Startmorgen herrscht nebelig-trübes Wetter, es hat ca.5°C. Die Wolken hängen tief.
Die Läufer versammeln sich. Vom dick vermummten bis zum „leichtbekleideten“ Läufer war alles dabei. Ich frage mich schon, ob mancher Läufer mit seiner Kleidungswahl wirklich in die Berge möchte?
Kurzes Briefing des Rennleiters zur Pflichtausrüstung: Sohlenprofiltiefe mindestens 3 mm, Energieriegel mit Startnummer versehen (um Müllsünder zu disqualifizieren), Notfallrettungsdecke, Trillerpfeife, vollgeladenes, eingeschaltetes Handy mit eingespeicherter Notfallnummer des Rennarztes.

Marathontag

Am Startmorgen herrscht nebelig-trübes Wetter, es hat ca.5°C. Die Wolken hängen tief.
Die Läufer versammeln sich. Vom dick vermummten bis zum „leichtbekleideten“ Läufer war alles dabei. Ich frage mich schon, ob mancher Läufer mit seiner Kleidungswahl wirklich in die Berge möchte?
Kurzes Briefing des Rennleiters zur Pflichtausrüstung: Sohlenprofiltiefe mindestens 3 mm, Energieriegel mit Startnummer versehen (um Müllsünder zu disqualifizieren), Notfallrettungsdecke, Trillerpfeife, vollgeladenes, eingeschaltetes Handy mit eingespeicherter Notfallnummer des Rennarztes.

Der Startschuss fällt pünktlich. Das Läuferfeld geht gefühlt mit einem ungewöhnlichen hohen Tempo auf die Strecke. Jede Steigung wird im Laufschritt genommen. Jeder tut so, als ob dieses Tempo für einen Bergmarathon für ihn kein Problem ist. Ich kann es mir nicht vorstellen. Trotzdem versuche ich mitzuhalten.

Meine Pulsuhr warnt mich – vergeblich, ich ignoriere die Information. Viele Läufer überholen mich. Ich bleibe im oberen Pulsbereich und habe das Gefühl, durchgereicht zu werden. Das „durchreichen“ empfinde ich wie eine Gewinnwarnung eines Unternehmens.
Danach kommt meistens nur noch die Abwicklung.

Und „abgewickelt“ werden wollte ich um keinen Preis. Heute, bei meinem siebten und letzten Brotlauf-Marathon in dieser Serie. Nach sechs Marathons, fast alle in den Bergen, muss ich doch so viel Routine und Kondition haben, um die popeligen 1829 m auf die Hohe Salve zu schaffen!

Die erste Teilnehmerin, jung und forsch, kleidungsmäßig mit kurzer Hose und einfachem T-Shirt, für mich völlig daneben, gibt bei km 4! mit Muskelzerrung auf.

Ich grüble: Bin ich zu vorsichtig? Werde ich älter? Oder überschätzen sich tatsächlich andere Läufer? Natürlich sind hier nicht die Eliteläufer gemeint, die diesen Lauf explizit als Qualifikationslauf bestreiten. Denn wer an diesem Wochenende alle 3 Läufe über 75 km unter 9 Stunden beendet, darf am Elitelauf „KAISERKRONE“ im nächsten Jahr teilnehmen. Und es sind Welt-Eliteläufer hier am Start.

  Für das flotte Tempo kann ich nur zwei Beweggründe finden: Alle Läufer wollen so viel Zeit wie irgend möglich im Tal gutmachen, denn wer weiß, was oben in der „Schneezone“ noch auf sie wartet? Der zweite sicher wichtigere Grund könnten die Cut-off-Zeiten an zwei Stellen sein. 

Streckenpunkte, an denen man aus dem Rennen genommen wird, wenn man rechnerisch das Ziel nicht innerhalb 7 Stunden Gesamtlaufzeit erreichen kann.
Die erste Cut-off-Zeit war bei km 19,5 auf der Rübezahl Alm nach 3 Stunden, die zweite Cut-off-Zeit bei km 34,3 auf der Hexenwasser Alm nach 5 Stunden und 15 Minuten.

Der um eine Stunde verschobene Start erweist sich als goldrichtige Entscheidung. Wir haben damit ein Wetterfenster ohne Niederschläge. Im Windschatten ist es mild und ich bin zu warm angezogen. An den zugigen Stellen und mit zunehmender Höhe wird alles wieder gut. Ein kühler bis eisigkalter Wind weht um die Nase.
Bei km 14 geht es dann richtig in die Berge: Rübezahl Alm, Bergstation Hartkaiser.
Auf der Tanzbodenalm erlebe ich ein Novum. Die Laufstrecke geht auf einem roten Teppich mitten durch das Bergrestaurant. Auf der eine Seite rein, gegenüberliegend wieder raus. Die Gäste hatten eine Riesengaudi und wir Läufer ausnahmslos einen Riesenapplaus. Das tat gut!
Die traumhafte Aussicht auf die umliegende Bergkette hatte wenig Einfluss auf meinen jetzt erreichten Tiefpunkt. Verbrauchte Kalorien und Auskühlung legten noch eins drauf. Gut die Hälfte der Strecke war geschafft, doch ab jetzt verliefen die Wege im Schneematsch. Schaffe ich es bis zum Ende, reicht die Zeit, reicht meine Motivation?
Gedanken ans Aufhören – sie kamen zum ersten Mal.



Doch weiter geht’s über den Jochstubensee -hier gibt es erstmals eine warme Suppe- über den Filzalmsee zur Hexenwasser Alm.
Die warme Suppe hat die Gutgeister wieder wachgeküsst. Es geht mir wieder besser.
Das Ziel ist permanent in Sicht. 
 

Nur das kräftezehrende ständige Auf und Ab zermürbt ungemein.
Jetzt geht es richtig zur Sache. Steiler geht‘s nicht mehr. Der Trail führt auf der im Winter ausgewiesenen schwarzen Piste direkt unter der Gondelbahn senkrecht hoch zur Hohen Salve.
Die nächste Labstelle, ein charmanter österreichischer Begriff für eine Verpflegungsstation, ist in der Keat Alm im Kuhstall. Ohne Kühe, die hatten am

Wochenende zuvor ihr Fest beim Almabtrieb. Auf einem langen Ziehweg geht es leider schon wieder bergab. Till Eulenspiegel hat dies genauso gehasst, wusste er doch, dass er alles wieder bergauf gehen muss.

Auf der Rigi Alm gibt es letztmals Getränke. Jetzt geht es zum Schlussspurt. Über den obersten Gipfelhang sind auf zwei Kilometer die letzten 350 Höhenmeter zu bewältigen! Der Puls kann nicht mehr steigen. Er ist schon ganz oben. Die Zuschauer im Zieleinlauf nehme ich kaum wahr. Auch die Bergkapelle auf der obersten Kuppe interessiert mich heute kaum.

Weder der Ärzte-Quad noch der Läufer-Akia kommen zum Einsatz.

Wegen der starken und eisigen Winde wurde der Zielbogen direkt vor das Garagentor einer Pistenraupe-Garage gesetzt. Alle anderen Aufbauten hätte der stürmische Wind weggeblasen. Der Zugang zum windgeschützten Raum ging durch eine kleine Werkstatttür. Heute Ankunft ohne Pomp und Volksfest. Egal, Hauptsache windstill, etwas zu trinken und trockene Wechselkleider. Geschafft!


Im Zieleinlauf dürfte man mich nicht fragen, ob ich es wieder machen würde.

Doch jetzt bin ich stolz, diesen Berglauf gefinisht zu haben.
Meine Sponsoren und meine Landfrauen in Mosambik hätten dies nie verstanden und Ich erst recht nicht.

In der drangvollen Enge gab es keine Möglichkeit, sich zu bewegen, die verspannten Muskeln zu dehnen oder sich mit ein paar Schritten einfach „auszulaufen“ um die Anspannung und den Puls langsam herunterzufahren.

Es ging: Von 180 auf Null, in wenigen Sekunden und das ist nicht gut.
Die Beine fangen an, sich zu verkrampfen. Das kannte ich bislang noch nicht. Irgendwie drängt sich das Bild auf, das ich glücklicherweise nicht erlebt habe. Wer in seinem Berufsleben (Bergmarathon) alles gegeben hat, darf nicht beim Eintritt in den Ruhestand (Ziel) von 180 auf Null runterfahren.

Bereits auf dem Weg zur Gondel-Talfahrt beruhigen sich meine Beine wieder.

Die Hohe Salve, ein Berg mit „nur“ 1829 m Höhe, hat mich überrascht und unerwartet gefordert. Vielleicht war ich etwas zu leichtsinnig oder zu oberflächlich?



Die Antwort fand ich auf meiner Pulsuhr. Das ständige Auf und Ab über die gesamte Marathonstrecke ergaben am Ende unerwartete 3.745 Höhenmeter.

Die Sorge um das „durchgereicht“ oder „abgewickelt“ zu werden, war völlig unbegründet. Ich habe das Zeitlimit um über ein halbe Stunde unterschritten, war mal wieder einer der ältesten Läufer im Feld und durfte trotz allem in der Altersklassenwertung das Podest auf dem 3. Platz besteigen. Ein Drittel der Starter kamen nicht in die Wertung oder haben den Lauf abgebrochen.

Karin und Domino, meine Edelfans überraschen mich mit einer kleinen SMS:
"Wir warten auf dich an der Talstation mit dem Auto!" Für mich war diese Geste in diesem Moment der größte Liebesbeweis. Die letzten Meter bis zum Hotel nicht zu Fuß zurücklegen zu müssen, das war eine Wohltat für Körper und Geist.


Nachklapp
Der siebte und letzte Marathon in meiner BROT-für-die-WELT- LAUF Serie war vom Wetter der unwirtlichste Lauf. Kalt, nass, windig, anstrengend, zermürbend.
Unweigerlich erinnere ich mich an den letzten, ebenfalls siebten Marathon in meiner HOSPIZ-LAUF Serie vor drei Jahren. Auch dieser war der Unwirtlichste. Kalt, nass, windig, anstrengend, zermürbend.
Haben beide Läufe etwas Gemeinsames? Rückblickend denke ich JA.

Im HOSPIZ-LAUF habe ich das unwirtliche nasskalte Wetter symbolisch für das Lebensende vieler Menschen beschrieben, denen Wärme und Zuneigung im neuen Hospizhaus möglich gemacht werden soll.

Im BROT-für-die-WELT-LAUF sehe ich das nasskalte Wetter symbolisch für die gesellschaftlich-politisch kalte und ungewisse Atmosphäre meiner Landfrauen in Mosambik. Möge dieser Lauf den Landfrauen und ihrem „ERDNUSS-PROKEKT“ so viel Hoffnung und Glaube an die Zukunft im eigenen Land bringen, damit sie niemals an Flucht denken müssen.
Brotlaeufer 800

Es hat mir viel Freude bereitet, für meine Freunde zu laufen.
Auf meiner Homepage www.brotlauf-jfs/einsame-gedanken.html werde ich meine Gedanken während dieser sieben Brotläufe im größeren Kontext zusammenfassen. Ich denke, es lohnt sich, diese zu lesen.

Herzliche Grüße vom Brot-für-die-Welt-Läufer


 

 

 

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